Dienstag, 27. August 2013

Klang-Körper-Rhythmus-Labor: Formgebende Mittel

Ich liebe es, theoretische Überlegungen zu Musik anzustellen und entsprechende Gedanken anderer zu lesen. Dabei auf neue Erkenntnisse zu stoßen hat für mich eine libidinöse Qualität, also, es schmeckt sehr sehr lecker. Richtig lecker. Und ich liebe es, solche theoretischen Überlegungen zu nutzen, praktisch umzusetzen in musikalischen Versuchsanordnungen. Wie Polyrhythmen musikalischen Gleichschritt aufsprengen, wie Obertöne in den tonalen Mikrokosmos führen, das ist unwahrscheinlich delikat - im Körper wie im Kopf. Wenn ich darüber aber schreibe, dann scheint diese Süße, die ich da so durchaus schmecke, nicht immer erhalten zu bleiben. Vielleicht ist das Geschmacksache, ich weiß es nicht, bei türkischem Baklava scheint der Fall klarer zu liegen. Sollte also im Weiteren nicht herauszuschmecken sein, dass die Dinge, über die ich da schreibe wirklich großen Spaß machen, dann bitte ich darum, sich die Kanne mit Zuckersirup über dem Blech mit Blätterteig dazu zu denken. Und wer kein Baklava mag, der möge Schokolade in Betracht ziehen...

War beim letzten Klang-Körper-Rhythmus-Labor der Fokus auf der statischen Struktur, die sich durch reine Wiederholung ergibt, soll es am kommenden Donnerstag um die ganze Vielfalt der verschiedenen Möglichkeiten gehen, fortzufahren, wenn man erst mal angefangen hat. in unserer skizzenhaften offenen Sammlung zu Handlungsoptionen im Musikfeld haben wir hierzu diese Möglichkeiten zusammengetragen:

Wiederholen
identisch wiederholen
variiert wiederholen
mentale Wiederholung als Ausgangspunkt für neue Klänge
gewichtet zwischen identisch wiederholten und variierten Elementen

Fortschreiten
mit gradueller Veränderung von Klang zu Klang
sprunghafte Abfolge von Klängen
ohne spezifische Relation

In Clemens Kühns "Formenlehre" finden sich ähnliche Kategorien, von ihm als "formgebende Mittel" bezeichnet, die mir in ihrer Knappheit noch deutlicher erscheinen als die obigen Formulierungen und somit praktikabler für die improvisatorische Praxis:

Wiederholung
Variante
Verschiedenheit
Kontrast
Beziehungslosigkeit

Diese Kategorien können uns als formgebende Mittel für gemeinsame Improvisationen dienen. Sie sind dann sozusagen der rote Faden für die Aktionen aller Mitwirkenden, sei es Klang, Bewegung oder auch das Unterlassen von beidem. Ein wichtiger Aspekt bei von diesen Kategorien ausgehenden Improvisationen ist dabei die Anzahl der verwendeten Mittel, außerdem die Frage, ob diese kollektiv synchronisiert umgesetzt werden oder nach individuellem Gusto. Wenn alle mit einer Aktion beginnen, dann etwas maximal kontrastierendes anfügen, um anschließend die erste Aktion zu wiederholen, dann ergibt sich eine klare Form, selbst wenn die ausgeführten Aktionen selbst, also das Material innerhalb dieser Form, spontan und ohne Absprachen gwählt werden. Wenn statt dessen alle Ausführenden nach Belieben Wiederholungen, Varianten, Kontraste etc. reihen, ergibt das natürlich ein viel chaotischeres, unübersichtlicheres, vielfältigeres Ergebnis. Hier ließe sich dann aber zum Beispiel über die Einigung auf ein eng begrenztes gemeinsam genutztes Material als Ausgangsbasis oder durch den Bezug auf ein gemeinsamen Zyklus von Pulsen ein Zusammenhalt, die Wirkung eines "Gemeinsamen" herstellen, oder man verzichtet auch bei diesen Faktoren auf derartigen "Leim" und entscheidet sich für einen sehr offenen Rahmen.

Sehr inspirierend in Bezug auf Fragen musikalischer Strukturen war für mich gerade eben die Lektüre von Aaron VanValkenburgs "Musical Process and the Structuring of Riffs in Metallica", Sehr empfehlenswert für an formalen Aspekten von Musik Interessierten aber auch theorieaffine Trash-Metal-Enthusiasten. VanValkenburg beschreibt Wallace Berry´s Unterscheidung dreier möglicher musikalischer Prozesse: Fortschreitung (progression), Rückgang (recession) und Stillstand (stasis). Ganz allgemein gesprochen beschreiben diese Begriffe Steigerung, Abfall bzw. Gleichbleiben des Erregungsniveaus, das die Musik erzeugt.

Mittelfristig finde ich es sehr interessant, diese Möglichkeiten musikalischer Prozesse mit den oben gelisteten formgebenden Mitteln in Beziehung zu setzen und die entstehende Matrix als Ausgangspunkt für Improvisationen zu nutzen. Ein wichtiger weiterer Faktor ist dabei die angestrebte strukturelle Deutlichkeit (VanValkenburg nennt Robert Hopkins´ "Hierarchy of structural markedness"), also die Frage in welchem Maße die Aktionen der Mitwirkenden individuell oder synchronisiert ablaufen und welche ästhetischen Wirkungen das erzeugt.

Aber zunächst mal heißt es am Donnerstag mit Stimme und Körper in Fühlung zu kommen, Klang und Bewegung zu genießen und dann den nächsten Schritt zu machen, mal schauen, in welche Richtung der dann geht, würde mich nicht wundern, wenn es in eine andere ist, als ich mir hier gerade gedacht habe, freu mich drauf.

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