Freitag, 30. August 2013

Lab: Improvisation mit Variation

Im gestrigen Klang-Körper-Rhythmus-Lab haben wir uns mit verschiedenen formgebenden Mitteln und ihrer Anwendungsmöglichkeit im Kontext kollektiver Improvisation beschäftigt. Zunächst habe wir dabei wie schon beim letzten Lab mit identischen Wiederholungen gearbeitet, um diese Option dann zu kombinieren mit der Möglichkeit der Variation. Wir haben das anhand verschiedener Versuchsanordnungen getan, eine möchte ich hier vorstellen:

Wir haben im Kreis gestanden, dabei in einem gemeinsamen Puls auf der Stelle schreitend, was einen gemeinsamen rhythmischen Referenzrahmen bot. Ich habe dann ein eintaktiges Pattern zu singen begonnen und es zunächst stetig wiederholt. Die anderen sind eingestimmt auf dieses Pattern, es entweder identisch wiederholend oder Varianten bildend, wozu ich nach einer Weile auch übergegangen bin. Nicht ausdrücklich geklärt hatten wir, ob die Varianten sich stets auf das erste Pattern zu beziehen haben, oder, ob es auch Varianten der Varianten geben kann bzw. soll. Letzteres ist dann passiert und so gab es eine "Evolution" der Varianten hin zu Patterns, die sich nicht mehr als Varianten beschreiben lassen sondern die man anders charakterisieren muss.

Das Ausgangsmaterial-Pattern
Dieses Pattern (unteres Notensystem) war nicht vorher zurechtgelegt und also quasi spontan improvisiert. Dennoch hat es viele Eigenschaften, die in keiner Weise willkürlich sind, sondern es in ein stilistisches Kontinuum meiner Kompositionen einbinden. Der reduzierte Tonumpfang von nur zwei Tönen entspricht diversen meiner Pattern-Komposition. Die Schlichtheit lässt viel Raum für die darauf aufbauenden Improvisationen, das tonale Feld bleibt so zunächst offen für unterschiedliche Deutungen und Ausdifferenzierungen. Auf rhythmischer Ebene bekräftigen die ersten beiden Töne den gemeinsamen Puls, die beiden Folgenden bauen durch synkopische Versetzung eine leichte Spannung - rhythmische Dissonanz - auf, die dann mit der Wiederholung der ersten beiden Töne wieder zu einer Auflösung gebracht wird. Durch die Kürze und die reduzierte Tonauswahl ist es einfach, dass Pattern direkt zu erfassen und einzustimmen, die synkopisch erzeugte interne rhythmische Spannung des Patterns wiederrum erhält eine gewisse Lebendigkeit trotz stetiger Wiederholung.



Die Varianten
Ich möchte hier beispielhaft drei Stadien in einer Stimme beschreiben und dabei zeigen, wie sich die Stimme über Varianten der vorhergehenden Variante weg vom Ausgangsmaterial hin zu etwas Andersartigem entwickelt. Zunächst kommt zu dem ersten Pattern eine Quarte höher eine parallele Aufwärtsbewegung hinzu. Anschließend setzt die obere Stimme wieder im Abstand eine Quarte höher an, macht dann aber eine Abwärtsbewegung auf das A, so dass beide Stimmen im Unisono auf dem tonalen Zentrum A enden. Gegenüber dem Unisono ist das Quartintervall relativ instabiler, so dass sich durch den Zusammenklang beider Stimmen eine latente harmonische Spannung bei den ersten drei gesungen Intervallen ergibt, die zum vierten Intervall, dem Unisono, aufgelöst wird. Auf den Ebenen von Rhythmus und Harmonik lässt sich also Komplementarität in Bezug auf Erzeugung von Spannung feststellen, da auf rhythmischer Ebene die zweite Tongruppe Spannung erzeugt, während harmonisch gesehen die ersten drei Intervalle Spannung hervorrufen.

Bei der Variante dieser ersten Variante werden diese Töne identisch weiter gesungen, es kommen allerdings zwei weitere Impulse hinzu: Ein synkopisches G und A, also exakt die Töne, die bereits im Ausgangsmaterial Verwendung fanden, kommen hier in gleicher Abfolge und rhythmisch ganz ähnlich dargeboten vor, allerdings an anderer Stelle innerhalb des zyklisch wiederholten Taktes. Da sie auch synkopisch zum Puls sind, könnten diese Töne als ein Echo der synkopischen Töne im Ausgangsmaterial aufgefasst werden, oder, wegen der relativen zeitlichen Nähe zu den ersten beiden Tönen im Ausgangsmaterial als eine Vorwegnahme derselben. Melodisch ergibt sich hier eine aufsteigende Linie G-A-C, es ist, als würde hier im Nachhinein eine Erklärung nachgeschoben, wie diese Stime sich von G-A zu den eine Quarte höher liegenden C-D aufgeschwungen hat.

Die Variante dieser zweiten Variante besteht schlicht darin, nur noch diese Aufwärtsbewegung G-A-C zu singen. Diese Variante ist zwar eine Variante in Bezug auf die vorhergehende Variante. In Bezug zum Ausgangsmaterial aber ist sie viel treffender charakterisiert als verschieden, als eine komplementäre Stimme. Über einen Prozess allmählicher Veränderung hat sich an diesem Punkt etwas anderes ergeben.

Im Laufe der Improvisation haben sich viele derartige Prozesse in mehreren Stimmen abgespielt. Während sich aus dem allmählichen Charakter der Metamorphosen ein Eindruck von Zusammenhalt und Nachvollziehbarkeit der Musik ergeben hat, erzeugte das fortschreitende Variieren Elemente, die den Charakter des Neuartigen, Anderen hatten. Diese Kombination machte die Improvisation sehr genußvoll, regelrecht süffig, wie ein Baden im gemeinsamen Stimmklang. Das war ein tolles Erlebnis und ich bin gespannt, wie sich die Fähigkeiten, auf diese Art zu improvisieren im Laufe zukünftiger Labore weiter kultivieren und verfeinern lassen.

Dienstag, 27. August 2013

Klang-Körper-Rhythmus-Labor: Formgebende Mittel

Ich liebe es, theoretische Überlegungen zu Musik anzustellen und entsprechende Gedanken anderer zu lesen. Dabei auf neue Erkenntnisse zu stoßen hat für mich eine libidinöse Qualität, also, es schmeckt sehr sehr lecker. Richtig lecker. Und ich liebe es, solche theoretischen Überlegungen zu nutzen, praktisch umzusetzen in musikalischen Versuchsanordnungen. Wie Polyrhythmen musikalischen Gleichschritt aufsprengen, wie Obertöne in den tonalen Mikrokosmos führen, das ist unwahrscheinlich delikat - im Körper wie im Kopf. Wenn ich darüber aber schreibe, dann scheint diese Süße, die ich da so durchaus schmecke, nicht immer erhalten zu bleiben. Vielleicht ist das Geschmacksache, ich weiß es nicht, bei türkischem Baklava scheint der Fall klarer zu liegen. Sollte also im Weiteren nicht herauszuschmecken sein, dass die Dinge, über die ich da schreibe wirklich großen Spaß machen, dann bitte ich darum, sich die Kanne mit Zuckersirup über dem Blech mit Blätterteig dazu zu denken. Und wer kein Baklava mag, der möge Schokolade in Betracht ziehen...

War beim letzten Klang-Körper-Rhythmus-Labor der Fokus auf der statischen Struktur, die sich durch reine Wiederholung ergibt, soll es am kommenden Donnerstag um die ganze Vielfalt der verschiedenen Möglichkeiten gehen, fortzufahren, wenn man erst mal angefangen hat. in unserer skizzenhaften offenen Sammlung zu Handlungsoptionen im Musikfeld haben wir hierzu diese Möglichkeiten zusammengetragen:

Wiederholen
identisch wiederholen
variiert wiederholen
mentale Wiederholung als Ausgangspunkt für neue Klänge
gewichtet zwischen identisch wiederholten und variierten Elementen

Fortschreiten
mit gradueller Veränderung von Klang zu Klang
sprunghafte Abfolge von Klängen
ohne spezifische Relation

In Clemens Kühns "Formenlehre" finden sich ähnliche Kategorien, von ihm als "formgebende Mittel" bezeichnet, die mir in ihrer Knappheit noch deutlicher erscheinen als die obigen Formulierungen und somit praktikabler für die improvisatorische Praxis:

Wiederholung
Variante
Verschiedenheit
Kontrast
Beziehungslosigkeit

Diese Kategorien können uns als formgebende Mittel für gemeinsame Improvisationen dienen. Sie sind dann sozusagen der rote Faden für die Aktionen aller Mitwirkenden, sei es Klang, Bewegung oder auch das Unterlassen von beidem. Ein wichtiger Aspekt bei von diesen Kategorien ausgehenden Improvisationen ist dabei die Anzahl der verwendeten Mittel, außerdem die Frage, ob diese kollektiv synchronisiert umgesetzt werden oder nach individuellem Gusto. Wenn alle mit einer Aktion beginnen, dann etwas maximal kontrastierendes anfügen, um anschließend die erste Aktion zu wiederholen, dann ergibt sich eine klare Form, selbst wenn die ausgeführten Aktionen selbst, also das Material innerhalb dieser Form, spontan und ohne Absprachen gwählt werden. Wenn statt dessen alle Ausführenden nach Belieben Wiederholungen, Varianten, Kontraste etc. reihen, ergibt das natürlich ein viel chaotischeres, unübersichtlicheres, vielfältigeres Ergebnis. Hier ließe sich dann aber zum Beispiel über die Einigung auf ein eng begrenztes gemeinsam genutztes Material als Ausgangsbasis oder durch den Bezug auf ein gemeinsamen Zyklus von Pulsen ein Zusammenhalt, die Wirkung eines "Gemeinsamen" herstellen, oder man verzichtet auch bei diesen Faktoren auf derartigen "Leim" und entscheidet sich für einen sehr offenen Rahmen.

Sehr inspirierend in Bezug auf Fragen musikalischer Strukturen war für mich gerade eben die Lektüre von Aaron VanValkenburgs "Musical Process and the Structuring of Riffs in Metallica", Sehr empfehlenswert für an formalen Aspekten von Musik Interessierten aber auch theorieaffine Trash-Metal-Enthusiasten. VanValkenburg beschreibt Wallace Berry´s Unterscheidung dreier möglicher musikalischer Prozesse: Fortschreitung (progression), Rückgang (recession) und Stillstand (stasis). Ganz allgemein gesprochen beschreiben diese Begriffe Steigerung, Abfall bzw. Gleichbleiben des Erregungsniveaus, das die Musik erzeugt.

Mittelfristig finde ich es sehr interessant, diese Möglichkeiten musikalischer Prozesse mit den oben gelisteten formgebenden Mitteln in Beziehung zu setzen und die entstehende Matrix als Ausgangspunkt für Improvisationen zu nutzen. Ein wichtiger weiterer Faktor ist dabei die angestrebte strukturelle Deutlichkeit (VanValkenburg nennt Robert Hopkins´ "Hierarchy of structural markedness"), also die Frage in welchem Maße die Aktionen der Mitwirkenden individuell oder synchronisiert ablaufen und welche ästhetischen Wirkungen das erzeugt.

Aber zunächst mal heißt es am Donnerstag mit Stimme und Körper in Fühlung zu kommen, Klang und Bewegung zu genießen und dann den nächsten Schritt zu machen, mal schauen, in welche Richtung der dann geht, würde mich nicht wundern, wenn es in eine andere ist, als ich mir hier gerade gedacht habe, freu mich drauf.

Para Hybrid & Genia Mascara in Zytanien

23h am Samstag in der Weltraumhalle auf´m Zytanien-Festival, unser Gig soll JETZT beginnen und die Leute in der Halle sind unruhig, aber wir müssen nochmal alle Kanäle und den Monitorsound checken. Am frühen Abend, als wir das in Ruhe machen wollten, waren wir vollauf damit beschäftigt, die Herkunft des Brummens zu erkunden, dass von Jennies Loopstation aus über die PA die ganze Halle füllte. Jetzt, direkt vorm Gig, wissen wir noch nicht so recht, ob wir uns auf der Bühne vernünftig hören können und noch weniger, ob es unten dann auch gut klingt. Während ich also versuche, so schnell wie möglich Klarheit über unsere klangliche Situation zu gewinnen, spricht mich eine strahlende junge Frau an - meine Cousine, ewig nicht gesehen, freut sich einen Ast, unverhofft auf der Bühne Verwandschaft zu erblicken. Hallo Hallo, super nett, aber gerade ist echt keine Zeit zum klönen. Kurzer Mikrofoncheck, da versucht jemand unter lautem "lasst mich mal singen" die Bühne zu erklimmen und lässt sich nur mühsam davon überzeugen, dass das jetzt gerade nicht die beste Idee ist. Irgendwann später wird Jennies Gitarre nicht mehr zu hören sein, ihr Rock sich in Bühnenequipment verhaken, aber alles egal, wir sind drin in der Musik, miteinander, und als Jennie auf Stelzen durch die Halle schwebt und die Leute umsingt haben wir den Raum mitgenommen in unsere Selbstbehexung, unsere Klangschamanerei. Und am nächsten Tag, nach vielen wunderschönen berührten und berührenden Rückmeldungen macht sich ein warmes Gefühl breit, dass wir auf einem guten Weg sind mit unserem Hybriden aus Musik und Mummenschanz.

Ein dickes Dankeschön an Jörg Hensch, der dieses Jahr den engagierten Weltraumhallen-Paten gemacht hat und an Armin Wenk und Arne Farin und alle anderen für die schöne Jam nachts um 3h und natürlich an die emsigen Zytanier.


Jennie hinter der Weltraumhalle bei der Arbeit an ihrem Kostüm:



Bei der Anprobe:



Und mit Schminke:



Am nächsten Tag nochmal an die nächtliche Wirkungsstätte:



... noch mal eine Runde über den Platz und auf zu neuen Taten...

Donnerstag, 15. August 2013

Lab: Ein improvisatorisch-meditativer Ansatz

Heute haben wir im Klang-Körper-Rhythmus-Lab mit statischen musikalischen Strukturen gearbeitet. Die Versuchsanordnung: zunächst finden alle Beteiligten je für sich ein kurzes gesungenes Motiv. Damit diese Findungsphase in Konzentration stattfinden kann, geschieht es mit zugehaltenen Ohren. Ist das Motiv gefunden, werden die Ohren geöffnet und der Zusammenklang aller Motive wird hörbar. Nun bleiben alle bei ihrem Motiv und lauschen dem Gesamtklang. Da die Motive verschieden lang sind und nicht durch einen Puls synchronisiert, entsteht der Eindruck eines Mobiles: eine begrenzte Anzahl von Klängen kreist in immer neuen Konstellationen umeinander, schafft eine Atmosphäre, bleibt aber ungreifbar. Innerhalb der statischen Struktur - alle bleiben bei ihrem eingangs gewählten Motiv - findet also unablässig Bewegung, Veränderung, Entwicklung statt.

Die von uns gewählte Versuchsanordnung kombiniert improvisatorische Elemente - das spontane Finden eines melodischen Motivs - mit einem meditativen Ansatz: ist das Motiv gefunden, wird es schlicht wiederholt und alle Änderungen im Gesamtklang ergeben sich absichtslos durch die verschiedenen Kombinationen der Stimmen. Die Herausforderung, aus der Intentionalität zurückzutreten und spontane Impulse ziehen zu lassen wird dabei belohnt durch den delikaten Genuss des Zusammenklangs, dessen Subtilitäten in einer rezeptiven Haltung ganz zart auf den Ohren schmelzen.